Jobguide ENGINEERING_LIFE SCIENCES_d0322

Know-how Assessment-Center Die Aussagekraft von ACs wird oft angezwei- felt. Wie treffsicher ist die Bewerberauswahl? Da beobachte ich zwei gegenläufige Trends: Mittlerweile richten zwei von drei Unter- nehmen ihre ACs speziell auf die Firma aus. Und viele sind dabei sehr professionell und kompetent, ebenso wie bei der Schulung der Beobachter. Das erhöht natürlich die Treffsi- cherheit bei der Mitarbeiterauswahl. Parallel dazu geht der Trend aber auch zu Stangen- ware: ACs, deren Anforderungen nicht spezi- fisch auf das Unternehmen abgestimmt wer- den und Manager, die kaum vorbereitet sind, ganz zu schweigen von tauglichen Auswahl- prozessen dahinter. Bei Letzteren fallen dann auch an sich passende Kandidaten schnell mal durchs Raster. Für Bewerber ist das dann sehr schade, aber kaum zu ändern. Gibt’s auch Positives zu berichten? Viele gut konzipierte ACs gehen zum Beispiel dazu über, in den Gruppendiskussionen nicht mehr die Bewerber aufeinander loszulassen, sondern die Gruppe mit eigenen Leuten als Mitdiskutanden zu besetzen, die standardi- sierte Rollen übernehmen. Das ist positiv für Bewerber, weil sie nicht mehr so abhängig sind vom Verhalten der Konkurrenten. Ihre eigene Leistung kommt besser zur Geltung. Zudem ändern sich zunehmend die Themen, die Unternehmen in ACs einbauen. Welche neuen Themen sind das? Es geht immer öfter – neben den klassischen Anforderungen an Präsentation und Kom- munikation – auch um aktuelle, unterneh- mensrelevante Themen wie zum Beispiel Compliance oder Diversity. Die Unterneh- men checken die Einstellung der Bewerber zu ihren firmeneigenen Werten ab. Wie findet sich das konkret im AC wieder? Da kann zum Beispiel im Interview gefragt werden: Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Chef sich nicht entsprechend der Unterneh- menswerte verhält? Oder: Worin liegen Vor- und Nachteile von bunt besetzten Teams? Für »Bewerber müssen mit analytischem Können und Werten überzeugen.« Birgit Gerstgrasser ist Diplom-Psychologin und coacht Absolventen, Fach- und Führungs- kräfte in Bewerbungs- und Karrierefragen. Als Unternehmensberaterin entwickelt sie für Mittelständler wie Konzerne Konzepte zur Personalauswahl und -entwicklung. Seit vielen Jahren entwirft und begleitet sie Assessment- Center (www.birgit-gerstgrasser.de , www. assessment-center-coaching.eu ). Foto: privat lang diskutieren bis zu sechs Kandidaten über ein vorgegebenes The- ma oder müssen über das Gespräch eine bestimmte Problematik lö- sen. Beispiel: Welche fünf Gegenstände soll die Gruppe – als sechs Überlebende eines Schiffsunglücks – vom schnell sinkenden Schiff retten? Pluspunkte sammelt ein Bewerber mit: einer eigenen Mei- nung, argumentativem Geschick und einem sicheren Auftritt. Neu- er Trend: Statt Mitbewerber nehmen Unternehmensangehörige (mit verteilten Rollen) an der Diskussion teil. Der Vorteil für Bewerber: Sie sind nicht mehr so abhängig von der Güte und Präsenz der mitdisku- tierenden Konkurrenz. Der Auftritt jedes Einzelnen wird damit auch besser vergleichbar. � Fallstudien konfrontieren die Teilnehmer mit typischen Branchen- problemen: Aus einer Menge abstrakter Daten müssen sie im Team oder auch schon mal alleine unter Zeitdruck – etwa 60 Mi- nuten – relevante Daten herausfiltern, Konzepte und Lösungsan- sätze entwickeln und präsentieren. Den Beobachtern geht es dabei nicht nur um die Ergebnisse, sondern auch um das Agieren in der Gruppe und die Fragen: Wie nähert der Kandidat sich Problemen? Hat er eher einen Blick fürs große Ganze oder für die Details? Sind die Ideen und Lösungen visionär oder realistisch und boden- ständig? Es geht dabei längst nicht nur um Softskills, sondern vor allem auch um fachliches Know-how, analytisches Denken etc. Wichtig: Im Ergebnis gibt es hier kein richtig oder falsch, nur ein „passt besser oder schlechter auf die Stelle“. � Rollenspiele werden vor allem bei Führungspositionen und Ver- triebs- oder Servicejobs eingesetzt. Hier sollen dann (knifflige) Mitar- beiter- oder Verkaufsgespräche geführt werden. „Aber auch schon bei Absolventen wird gerne eine kleine Führungsaufgabe eingebaut, um ihr Führungspotenzial anzutesten“, stellt Birgit Gerstgrasser, Unter- nehmensberaterin und AC-Trainerin fest. � In Einzelvorträgen werden die Kandidaten mit einem beliebigen Thema oder Problem ausgestattet, das sie nach einer kurzen Vorberei- tungszeit in einem Vortrag in vorgegebener Zeit vor der Gruppe be- leuchten sollen. Anschließend kann eine Fragerunde folgen. Beispiel: „Stellen Sie die Vor- und Nachteile der demographischen Entwick- lung dar und skizzieren Sie Lösungen.“ � Mit Übungen und Tests werden analytische Fähigkeiten, Allge- meinbildung, Selbstbild, Arbeitsweise et cetera abgecheckt. Der Klas- siker unter den Übungen ist der sogenannte „Postkorb“. Er verlangt dem Probanden Entscheidungsfreude und Strukturiertheit unter Stress ab. Beispiel: Sie sind Manager, stehen zwei Tage vor Ihrem Ur- laub und müssen noch viel erledigen. Ihr 18-jähriger Sohn hat mit dem Auto des Nachbarn gerade einen Unfall gebaut. Parallel ist es Ihr Job, das bevorstehende Großevent Ihrer Firma festzuzurren, leider ist aber gerade der entscheidende Hauptredner abgesprungen. Das ist zum Teil Ihre Schuld. Ihr Chef ist nicht im Haus, braucht aber am Folgetag eine dringende Präsentation. Dafür fehlen Ihnen noch alle Inhalte, zur Recherche wiederum fehlt die Zeit. Wie gehen Sie vor? Auch hier gibt es letztlich keine 100-Prozent richtige Lösung, auf die Sie kommen müssen. Ihre Ansätze können auch gerne innovativ und ungewöhnlich sein, müssen aber einem Realitätscheck standhalten können und sollten die Prioritäten richtig setzen. Den Griffel im Büro Bewerber reicht es also nicht mehr, schlicht Präsentieren zu üben, sie müssen sich mit Inhalten auseinandersetzen und eine eigene Haltung dazu entwickeln. Wie geht man mit solchen Fragen um? Wie bei allen anderen Aufgaben im Assess- ment-Center ist eine gute Vorbereitung das A und O. Holen Sie so viele Infos über die Firma ein wie möglich, studieren Sie nicht nur Bilanzen und Geschäftspolitik, sondern auch die Unternehmenskultur und die Werte. Ist es ein eher tougher Laden oder eher soft? Schon die Stellenanzeige, die Homepage und Berichte in den Medien geben erste Hinweise. Das Wichtigste bei der Vorbereitung und im AC selbst ist, eine Passung zwischen sich und dem Unternehmen herzustellen. Was machen die? Was möchten Sie? Was bringen Sie mit? Und wie können Sie das im Termin entspre- chend nach vorne stellen? Zugegeben, es ist immer schwer, über die eigenen Kompetenzen es für so etwas im Zweifel auch professionelle Berater, die neutraleres Feedback geben. Wie bereite ich mich auf die Präsentation meiner Selbst vor? Drehen Sie zum Beispiel mit einem Freund ein Video über sich selbst. Stellen Sie sich und Ihre Fähigkeiten einem fiktiven Persona- ler in wenigen Minuten vor. Und dann analy- sieren Sie das mit einem Feedbackgeber. Alle AC-Bausteine lassen sich im Vorfeld üben. Auch hier gilt aber, dass das Gegenüber im- mer erfahren in solchen Themen sein sollte, also zum Beispiel jemand, der schon länger im Job steht. Wie bekommt ein unerfahrener Jobstarter Rollenspiele aus der Berufspraxis hin? Üben, üben, üben. Wenn Sie sich für eine Stelle im Vertrieb bewerben, proben Sie mit jemandem, der sich auskennt, mal ein ernst- haftes Verkaufsgespräch und zeichnen Sie es auf Video auf. Das kann schon helfen. Und ganz wichtig: Keiner erwartet, dass Sie mit Mitte 20 schon alle Führungstechniken be- herrschen, um zum Beispiel einen Endvier- ziger im Job in die Schranken zu weisen. So eine Aufgabe im AC können Sie nur spontan aus einem guten Gefühl für Menschen heraus lösen. Sie können die Herangehensweise aber schon mal im Rollenspiel üben: Sie sind der Chef, Ihre Eltern oder ältere Bekannte sind die Mitarbeiter. Versuchen Sie sich in die Si- tuation einzufühlen: Was will ich, was will der andere? Wie kommt man zu einer Lösung? Woran scheiternBewerber imAC gerne? Viele sind einfach schlecht auf das Unterneh- men vorbereitet und liefern in ihrer Selbst- darstellung Einheitsbrei. Ein Unternehmen möchte verständlicherweise einen Kandi- daten, der Feuer und Flamme ist. Es ist ein- fach dumm, wenn man seine Präsentation nicht an die Firma und ihre Werte anpasst und nicht zu erkennen gibt, warum man genau dort anfangen möchte. Sehr häufig scheitern Bewerber auch an ihren kognitiven Kompetenzen: Fachwissen wie etwa mathe- matisches Verständnis oder analytische Fä- higkeiten sind wichtig für die Unternehmen – und werden tatsächlich abgeprüft. Zu guter Letzt kegeln sich viele raus, weil sie einen auf Mega-Chef machen, das Geschehen an sich reißen und zu übereifrig sind. Führungskom- petenzen an den Tag zu legen ist prima, aber bitte keine Dominanz. Diese Unterscheidung müssen Bewerber im AC hinbekommen. Ihr Tipp also für dieGruppendiskussion? Viele glauben, im AC gehe es überwiegend um die Selbstdarstellung. Das stimmt so nicht. Sie müssen in erster Linie inhaltlich, methodisch und analytisch überzeugen. Also nicht nur nach vorne preschen und auf Teufel komm raus moderieren wollen. Wie stark sollteman sich imAC verstellen? Ich halte es für wichtig, authentisch und ehr- lich zu bleiben. Sie sollen zwar nicht gleich mit Ihren schlechtesten Eigenschaften nach vorne preschen, aber sich komplett zu ver- stellen hilft keinem weiter, weder Ihnen noch dem Unternehmen. Es geht schief, wenn man eine Rolle spielt, nur weil man glaubt, dass diese oder jene Eigenschaft für die Stelle gefragt sein könnte. Denn selbst, wenn Sie damit durchkommen, müssen Sie das später auch im Job durchhalten. Das Geheimnis be- steht darin, schon bei der Vorbereitung und im AC für sich selbst herauszufinden: Passe ich dahin oder müsste ich mich stark verbie- gen? Fällt Ihr Urteil positiv aus, zeigen Sie sich natürlich von Ihrer besten Seite, aber Sie erfinden keine Facetten hinzu. Das Gespräch führte Ulrike Heitze zu sprechen. Gerade als Berufsanfänger fehlt einem oft noch die Souveränität, sich selbst zu beurteilen. Wie kommt man also zur Selbsterkenntnis? Sprechen Sie mit anderen über sich. Fragen Sie Freunde und Bekannte, wie die Sie sehen. Lassen Sie sich berichten, was Sie in deren Au- gen gut können und was nicht – auch wenn es sich vielleicht nicht immer gut anfühlt, was diese zu sagen haben. Aber dadurch erhalten Sie wichtige Anhaltspunkte für Ihre Selbst- präsentation und auch für Ihre persönliche Weiterentwicklung. Allerdings sind Freunde naturgemäß nicht ganz objektiv. Daher gibt Alle AC-Bausteine lassen sich im Vorfeld üben. Jobguide Jobguide

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