Jobguide ENGINEERING_LIFE SCIENCES_d0322

Know-how Assessment-Center komplett fallen zu lassen und sich ausschließlich um den Sohnemann zu kümmern, ist bei aller Familienliebe genauso inadäquat wie ihn völlig auf sich gestellt schmoren zu lassen und sich nur auf die Arbeit zu konzentrieren. � Der Part Interviews mit Personalern und Fachleuten erinnert am ehesten an ein normales Bewerbungsgespräch. Wichtig für Kandidaten ist, dass sie auch in den Pausen zwischen den Übungen auf der Hut sind, denn dann stehen sie genauso unter Beobachtung wie während der eigentlichen Prüfungssituation. Wer da mal eben ganz relaxt seine gute Kinderstube fahren lässt oder sich plötzlich als unsoziales Raubein entpuppt, nachdem er vorher ein Ausbund an Höflichkeit war, heimst fleißig Punktabzüge ein. Unterm Strich bedeutet das mehrstufige Auswahlverfahren für die Teilnehmer also mehrere Stunden kalkulierten Stress. Beobachtet werden sie von Managern des Unternehmens und von Personalern. Sie alle registrieren Fachwissen, Einsatzbereitschaft und Durchsetzungsstärke ebenso wie die Fähigkeit Einzelner, unter Stress Lösungen zu entwickeln, Aufgaben voranzutreiben, zwischen Streithähnen zu vermitteln – oder auch nicht. Ziel der Beobachter ist, am Ende des Tages die Kandidaten ausgemacht zu haben, die am be- sten auf die Stelle und die Anforderungen passen. Der Mehrheitsblick entscheidet – und nur dieser. Deshalb werden im Verlauf des ACs die Eindrücke aller Beobachter – ein Bewerber wird in jeder Übung gleich von mehreren Zuschauern beurteilt – zu einem gemeinsamen Urteil verdichtet. „Meist wird eine Mindestnorm definiert, die ein Kandidat erreichen soll“, erklärt Psychologin Gerstgrasser. Liegen Beobachter in ihrer Wertung auseinander, wird noch mal genauer hingeschaut. Wer jedoch die Mindesthürde nicht erfüllt, ist raus. Un- vorbereitet geht heute kaum mehr ein Bewerber in ein AC. Und weil das so ist, kann man es sich auch nicht leisten, es einfach mal so auf gut Glück zu probieren. Schließlich muss man bei dem Termin die Konkurrenz ausstechen. Für inzwischen fast jeden Personenkreis gibt es im Buchhandel ausführliche Literatur über die Testszenarien. Auch im Internet kursieren detaillierte Erfahrungen von Ex-Kandidaten. „Wir wissen das – früher oder später landen die Inhalte jedes ACs im Netz“, sagt IBMler Jens Poppe. „Wir nutzen Einzelinhalte unserer Assessment-Center deshalb nie lange.“ Als die größten Schwachpunkte vieler Bewerber im Assessment- So klappt’s imAssessment-Center � Informieren Sie sich wie für ein normales Bewerbungsge- spräch gut und aktuell über das Unternehmen, die Branche und die ausgeschriebene Stelle. Auch ein Blick auf die Werte, die die Firma vermittelt, lohnt. Was bringen Sie konkret für die Stelle mit? Dieses Wissen könnte für die Fallstudien, die Gruppenaufgaben, die Einzel- vorträge und die Selbstpräsen- tation nützlich sein. Üben Sie, komplexe Aufgaben sinnvoll zu strukturieren, Probleme unter Zeitdruck zu lösen. Entspre- chende Übungen gibt’s imWeb. Da diesen Part alle üben, kön- nen Sie sich mit einer brillanten Performance hier nicht über Gebühr profilieren. Das klappt eher in der Gruppenrunde und in der Selbstpräsentation. � Bei den Übungen, Fallstu- dien & Co. gibt es nicht die eine optimale, richtige Lösung. Die zu finden ist auch nicht das Ziel des Ganzen. Neben dem fachlichen Know-how ist den Beobachtern Ihre Herange- hensweise wichtig. Wie nähern Sie sich dem Thema? Neigen Sie dazu, sich imWust der As- pekte zu verzetteln? Auch ab- seitige Lösungen sind durchaus erlaubt, wenn Sie sie mit Hand und Fuß begründen können und nicht einfach Produkte einer regen Phantasie sind. � Klingt trivial, ist es aber nicht: Tischmanieren sind nicht ganz unwichtig, wenn Sie an einem gemeinsamen Mittages- sen teilnehmen werden. � Perfekt vorbereiten lässt sich kein Assessment-Center. Vieles hängt zum Beispiel von der Zusammensetzung und der Dynamik der Gruppe ab. Eine gute Selbstpräsentation zusammenzuzimmern ist aber allemal drin, ebenso wie Tests und Übungen mehrmals durch- zuspielen. Gerade mit den drei bis zehn Minuten, die Ihnen zur Eigenwerbung zur Verfügung stehen, können Sie andere Schwächen wieder rausreißen. Und der Vorteil: Diesen Part können Sie selbst dirigieren. Da Sie den genauen Zeitho- rizont vorab nicht kennen, proben sie kurze wie längere Varianten. Haben Sie später die Wahl, wählen Sie eher die lan- ge. Dann haben Sie mehr Zeit, zur Geltung zu kommen. � Bei der Selbstpräsentation geht es nicht schlicht ums „Selbst“, sondern ums „Selbst in Relation zumUnternehmen“. Schildern Sie sich, Ihre Vita und Ihre Fähigkeiten immer mit Blick darauf, was Sie dem Unternehmen nützen können. Statt die Lebensstationen einfach herunterzubeten, versuchen Sie, Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten aus den einzel- nen Etappen argumentativ mit den Anforderungen der Stelle zu verschränken. Dann sind Sie nicht darauf angewiesen, dass die Beobachter von alleine darauf kommen, wie gut Sie passen würden. � Denken Sie daran: Bei einem AC-Termin stellt sich auch das Unternehmen bei Ihnen als Arbeitgeber vor. Bei aller Konzentration auf die eige- ne Leistung sammeln Sie zwischendrin auch mal ein paar Eindrücke, wie das Unterneh- men auf Sie wirkt. � Ist zwar eine Binsenweisheit, stimmt aber trotzdem: Je mehr ACs Sie absolvieren, desto leichter wird es Ihnen fallen, die Nerven zu behalten und gute Ergebnisse zu erzielen. Sie sollen zwar keine Routine entwickeln – das macht schnell leichtsinnig und nachlässig –, aber nehmen Sie ruhig auch bei Unternehmen teil, die für Sie nicht in Frage kommen. Und wer weiß: Vielleicht entpuppen die sich ja als Glücksgriff und Sie entdecken den idealen Job. Foto: Shutterstock Center nennt Birgit Gerstgrasser eine schlechte Vorbereitung aufs Unternehmen: „Viele ziehen erkennbar eine Standardpräsentation durch und versäumen es, deutlich zu machen, warum sie sich gera- de für dieses eine Unternehmen begeistern.“ Immer wieder fehlen analytisch-fachliche Kompetenzen: „Die Softskills sind bei den mei- sten recht okay, es hapert aber oft an der Hardware.“ Ein Bewerber muss beispielsweise in der Lage sein, einen Wust an Zahlen sinnvoll für sein Fachgebiet zu interpretieren. Wo fällt ihm etwas auf? Wie ist die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens? Was lässt sich aus ge- wissen Kennzahlen ablesen? „Die Analysefähigkeit der Bewerber lässt zum Leidwesen der Unternehmen in manchen Bereichen zunehmend nach. Wer also bei sich Schwächen erkennt, sollte im Vorfeld fleißig üben“, rät Birgit Gerstgrasser, die seit Jahren für Unternehmen Assess- ment-Center konzipiert. Je nach fachlicher Ausrichtung können sich Kandidaten dazu beispielsweise probeweise Unternehmensbilanzen vorknöpfen oder Unterlagen zu Kostenkalkulationen, Marketingbud- gets, Materialverbrauchslisten, Zeitplanungen oder Marktforschungs- ergebnisse auswerten. Wer ein bisschen im Internet sucht, wird ent- sprechendes Anschauungsmaterial finden können. Nur Nachlesen reicht nicht Auch wenn der Blick in die reichhaltige AC-Literatur hilfreich sein kann, seine Vorbereitung aber allein darauf aufzubauen, ist indes we- nig ratsam. Denn Bücher können zwar Basiswissen vermitteln, aber im Termin selber kommt es viel auf Anpassungsfähigkeit und Kon- sistenz an. Eine souverän gelöste Postkorbübung überrascht kaum einen Personaler. Eindruck macht, wer das eigene Profil im Laufe des kompletten AC schlüssig herausarbeitet. Und dabei hilft ein Ratge- ber-Buch allein nicht wirklich weiter. Wer eingeladen ist, überlegt im Vorfeld des Termins lieber konkret: Was genau bringe ich für die Stelle mit? Wer bin ich, was kann ich, was will ich eigentlich? „Mein Ding war eindeutig die Gruppendiskussion“, erinnert sich Felix König*, Key Account Manager bei einem Lebensmittelkonzern, an seine letzten Erfahrungen. Der Berliner Betriebswirt hat auf sei- nem Berufsweg bisher zwei Assessment-Center absolviert, eines bei einem Big Player der Elektronikindustrie, eines in der Lebensmittel- branche. „Ich habe einen Hang zum Moderieren, stecke mit meinen Ideen eher zurück und greife die anderer auf. Im Feedbackgespräch wurde das positiv beurteilt, doch je nach Stelle gilt es schlicht als man- gelnde Durchsetzungsbereitschaft.“ Bei IBM-Personaler Poppe, der bereits mehrere Dutzend ACs begleitet hat, kommt es gut an, wenn jemand in Gruppendiskussionen als Moderator eingreift, sobald je- mand zu sehr das Wort an sich reißt. Damit zeige man, dass man in der Lage ist, störende Elemente einzudämmen und zur Gesamtlösung beizutragen. Unterm Strich komme es im AC darauf an, sich nicht einschüch- tern zu lassen, sagt Felix König. „Hat man für eine Aufgabenstellung drei Minuten und merkt recht spät, man ist auf dem Holzweg, sollte man das zugeben. Vielleicht kriegt man eine zweite Chance, kann das Ruder herumreißen und von vorn beginnen. Personaler goutier- ten das. Man sollte nur klar kommunizieren.“ Verhuscht, ängstlich, scheu – das sind definitiv die falschen Eigenschaften fürs Assessment- Center. Ulrike Heitze/, Judith Schallenberg *Name geändert Jobguide Jobguide

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