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2018
Partner vorOrt
Romantik in der Landwirtschaft?
Zur Zeit Luthers schufteten 60 Bauern, um einen Stadtbewohner zu
ernähren. Heute kann ein Bauer für fast 100 Städter das tägliche Brot
liefern. Der Preis dafür ist eine konsequente
Monokultur auf Kosten der Artenvielfalt und
der Nachhaltigkeit. Vögel wohnen längst nicht
mehr in den Büschen auf dem Land, weil es die
nicht mehr gibt. Ihr Zuhause sind die akkurat
gestutzten Hecken der städtischen Vorgärten.
Auf den Hightech-Höfen vertreiben gewaltige
Silos, in denen das einzige Produkt des Betriebes
gelagert wird, jede Spur von Romantik. So wird
das Bild eines Bauernhofes unseren Kindern nur
noch in frühkindlichen Bilderbüchern vermittelt
– und das ist falsch!
Die Italiener und ihre Cucina
Doch den Bauernhof wie in alten Zeiten – man findet ihn noch. In
Piano di Sorrento im Süden Italiens. Schließlich ist Italien das Land,
in dem auf eine hohe Qualität der Lebensmittel der höchste Wert ge-
legt wird. Zwar nehmen Billigprodukte auch hier einen immer größeren
Raum ein, doch sorgen Firmen und Institutionen für hohe Standards
in der Qualität der Lebensmittel. Was für die Halbinsel auch negative
Seiten hat: Überall in der Welt werden billigste Massenprodukte in den
Farben der Trikolore gepackt und gaukeln mit italienischen Aufschrif-
ten dem Verbraucher vor, es handele sich um „Made in Italy“.
Vor allem haben sich die Bewohner des Stiefels Möglichkeiten guter Er-
nährung erhalten. Jeder kennt einen contadino, also Bauern, dem er bei
der Arbeit zuschauen kann und mit dem er fachsimpeln kann. Ställe für
Mastschweine in kargen Buchten mit Spaltenböden wären undenkbar.
Auch Tiere, denen Hörner, Ringelschwänze, Schnäbel und z.T. auch
Zähne (ohne Betäubung) gekürzt werden.
Das Gut der Wassernymphe
Was uns zum Fondo Galatea führt. Schon der Name weist auf ural-
te Traditionen. In der antiken Mythologie war Galatea die Nymphe,
die an wasserreichen Bächen lebte. Und von dem im Süden kostbaren
Nass gibt es reichlich in dem Tal oberhalb von Piano di Sorrento. Zahl-
reiche Karstquellen sprudeln überall und ermöglichen einen Landbau
ohne jegliche Bewässerung. Diesen betreibt Franco mit seinen Söhnen
auf althergebrachte Art. Aber geht das überhaupt noch, wenn der Ver-
braucher – wie in Deutschland – höchstens ein
Zehntel seines Einkommens für die Verpfle-
gung aufwenden will?
Es geht – mit der richtigen Politik und natür-
lich mit Kompromissen. Und wenn – wie in
Süditalien – Menschen bereit sind, für wertvol-
le Lebensmittel etwas mehr zu bezahlen. Man
sieht es schon beim Betreten des Gutes: Statt
eintönige Reihen dichtgepflanzter Olivenbäu-
me tauchen wir ein in eine traditionelle Vielfalt
von Obst- und Gemüsesorten, Weinranken und
Tiergehegen. Auf die Frage, was hier angepflanzt wird, schüttelt Franco
den Kopf. Es ist einfacher festzustellen, was hier NICHT produziert
wird. Außer Mehl, Salz und Zucker findet hier selbst der anspruchs-
vollste Mensch, was er zum Leben braucht.
Landwirtschaft nach Art der Alten
Und da alle Erzeugnisse auf traditionelle Art kultiviert werden, braucht
man hier auch nicht zum Kunstdünger zu greifen. Mit der Monokultur
lädt man die Parasiten geradezu ein, sich breitzumachen. Aber es ist
auch klar, dass dafür ein Mehraufwand an Arbeit erforderlich ist. Wie
viel einfacher ist es, mit dem Traktor durch die Lücken im Spalierobst
zu fahren und dieses schließlich mit einem vollautomatischen Harvester
zu ernten.
Aber wie funktioniert Nachhaltigkeit? Auf der untersten Ebene
wächst das Gemüse: Brokkoli, Papri-
ka, Artischocken, Auberginen etc. Sie
brauchen nur wenig Sonne. In halber
Höhe glänzt das Grün der Agrumen,
Familienname für Orangen, Zitronen,
Mandarinen, Pampelmuse, Pomeran-
zen. Sie benötigen wiederum viel Son-
ne und Feuchtigkeit. Dazwischen ragt
gelegentlich ein alter Ölbaum auf, aber
mit gehörigem Abstand zum nächsten,
denn sein Wurzelwerk faßt die achtfache
Größe seines Laubwerks.
Darüber winden sich die Weinreben. Wo-
mit wieder klar wird, dass
vitis vinifera
eigentlich eine Rankpflanze ist. Der alte
Plinius erzählt uns, dass so die Römer ihre
Weine pflegten. Und um welche Rebe
handelt es sich? Franco zuckt wieder mit
der Schulter. Die, die schon immer hier
wuchs! Weinkenner sprechen von einer
autochthonen Sorte. Aber dieses Wort
ist Franco fremd, genauso wie der Begriff
„Bioprodukt“.
Ohne Kompromisse geht es
nicht
Und das alles ohne Kompromisse? Im Hof
steht eine 300 Jahre alte Olivenpresse aus
Holz. Kürzlich bot ein amerikanischer Tou-
rist $10.000 für das Gerät. Dabei könnte
heute niemand mehr dieses Gerät bedienen.
Zudem sind in der EU die Anforderungen
an die Hygiene stark gestiegen. Deshalb hat
sich Franco für die Verarbeitung des Öls
modernste Pressen undZentrifugen zugelegt.
Kompromisse muss es auch bei der Tier-
haltung geben. Unsere Schüler, die die Bil-
derbücher der Kindheit vor Augen haben,
erwarten, dass die Hühner überall auf dem
Gelände herumstolzieren. In diesem Falle
wären binnen weniger Minuten die liebe-
voll gepflegten Gemüsebeete von den (un-
gestutzten) Schnäbeln zerfetzt. Natürlich
leben die Tiere in Ställen und Käfigen, aller-
dings mit genügend Freiraum.
Der bitterste Kompromiss war aber die Ab-
schaffung des Bullen, der die Kühe persön-
lich beglückte. Für seine Tätigkeit waren die
Kosten einfach zu hoch.
Ansonsten bekommen die albaTours-Grup-
pen und andereGäste nur Produkte vomHof,
einschließlich Käse und Salami. Der Renner
ist aber die Mozzarella, die Gianbattista vor
den Augen der staunenden Gäste zaubert.
Die Geheimnisse der Treccia, so heißt
die Mozzarella hier, erklärt seine Cousine
Immacolata, die dafür extra Deutsch gelernt
hat. Dabei erfahren die jungen Leute, dass
man Mozzarella, ein Frischmilchprodukt,
nur am Tag der Herstellung verzehren sollte.
Pasteurisieren? Ein Unding!
Im Caseificio (von lat. caseum + facere) bearbeiten die Bau-
ern auch heute wie vor Jahrhunderten das Produkt noch von
Hand. Die einzigen technischen Hilfsmittel sind die Pumpen,
mit denen die Milch umgefüllt wird und die Geräte zur Erhit-
zung der Milch.
Zur Herstellung der Mozzarella wird nur Vollmilch verwendet.
Die Milch wird zunächst auf 35°C erwärmt. Dann wird das
Lab aus dem Kälbermagen (ital.
caglio
) beigegeben (sog. Einla-
ben). Dadurch gerinnt die Milch und es entsteht der sogenann-
te Bruch (ital.
sero
). Dabei wandeln die Milchsäurebakterien
den in der Milch erhaltenen Milchzucker zum Teil in Milchsäure
um; diese bindet die Gerüstsubstanz der Milcheiweißstoffe,
das Calcium, an sich, so dass das Gerüst zusammenbricht
und sich das Milcheiweiß (Kasein) als dickflüssige Masse in
der dünnflüssigen Molke absetzt. In dem ausgefällten Kasein
ist noch ein großer Anteil der Molke eingeschlossen. Durch
Schneiden des Bruches in kleine Würfel wird der Austritt der
Molke erleichtert.
Danach erfolgt die Reifung. Die Dauer beträgt je nach Außen-
temperatur 6-8 Stunden. Durch die Tätigkeit von Bakterien,
Hefen und Schimmelpilzen erhält der zunächst noch körnige
Käse eine speckig-plastische Struktur. Enzyme schließen die
Eiweißstoffe auf und machen sie für den menschlichen Orga-
nismus verdaulich. Der restliche Milchzucker wird zu Milch-
säure abgebaut, die dann ihrerseits weiter in andere Stoffe
umgesetzt wird.
Danach kommt diese Masse in heißes Wasser und durch Kne-
ten entsteht ein Teig. Dieser wird in Stücke geschnitten und in
die endgültige Form gebracht oder als Treccia gelegt. Die reine
Mozzarella wird Fior di Latte genannt.
Gängige Formen sind der Provolone, Cacciocavallo und die
geräucherte Scamorza.
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Original-Rezept
Kein Thema beschäftigt die Menschen mehr als die richtige Ernährung.
Massentierhaltung und Monokulturen sind der Preis für günstige Lebensmittel.
Dass es auch anders geht, zeigt der Bauernhof Fondo Galatea in Süditalien.
albaTours-Gruppen lernen nachhaltige Landwirtschaft kennen.
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Die 300 Jahre alte Olivenpresse
Mozzarella
Immacolata heißt sie auf
dem Hof willkommen